Gestaltungsplan Thurgauerstrasse: Lauter verpasste Chancen – Die Ausgangslage für einen Neubeginn ist hervorragend

Nach fast zwei Jahren Kommissionsarbeit wird der Gemeinderat am Mittwoch, 29. Januar 2020 erneut über den Gestaltungsplan Thurgauerstrasse-West beraten. Das Ergebnis dieser Arbeit sind zahlreiche Detail-Anpassungen. Dazu kommt rund ein Dutzend Begleitvorstösse. Die grosse Anzahl Änderungsanträge und der Umstand, dass der Gemeinderat für dieses Geschäft zum zweiten Mal eine Doppelsitzung abhält, sind deutliche Zeichen dafür, dass niemand mit der Vorlage zufrieden ist. Der Grund dafür ist einfach: Die zahlreichen Anpassungen betreffen lediglich Details. Sie beheben nicht den Konstruktionsfehler des Gestaltungsplans: Die Ausrichtung der Gebäudekörper parallel zur Thurgauerstrasse, die Hochhäuser und die geschlossene Bauweise entlang der Thurgauer- und der Grubenackerstrasse. Eine Gebäudeanordnung, die auch von der Direktorin des Amts für Städtebau Zürich am 26. Juni 2019 in der NZZ als “hemmend für die Stadtdurchlüftung an heissen Tagen” bezeichnet wurde. Letztlich ist es das Selbstverständnis des Projekt an sich, das auf Ablehnung stösst. Es versteht sich als Konzept, das «in einem Schachzug zusammenhängend umzusetzen ist» (Zitat aus dem Schlussbericht der Testplanung). Ein Vertreter des Verbands der Wohnbaugenossen-schaften hat das Konstrukt einmal als ein einziges Riesengebäude bezeichnet – die SVP in der ersten Gemeinderatssitzung vom 3. Juli 2019 als “Mega-Block”. Dass dieser Konstruktionsfehler nicht behoben wurde, ist kaum im städtebaulichen Konzept begründet. Sonst hätte es beim Projektwettbewerb für das Schulhaus in der Zeitschrift Hochparterre nicht deutliche Kritik gegeben (link) dafür, dass das städtebauliche Richtkonzept über Bord geworfen wurde (“Die Begeisterung für die architektonische Qualität weicht (…) einem nüchternen politischen Kalkül”). Andererseits wurden in der lange dauernden Kommissionsberatung bereits befestigte Pflästerli wieder entfernt, z.B. die Querung der Thurgauerstrasse. Die vor einem Jahr von der SP versprochene Passerelle wurde mit den Stimmen derselben SP wieder gestrichen. Wie dereinst die Schulkinder die vierspurige Strasse mit Hochgeschwindigkeits-Tram-Trassee überqueren sollen, steht wieder in den Sternen. 

Es gibt Alternativen

Eine Alternative stammt von Jürg Sulzer, dem früheren Stadtplaner von Bern, der in den letzten Jahren auch die Stadtplanung von Dresden und München massgeblich geprägt hat. Zusammen mit Anwohnenden hat er das Konzept “Wohnhöfe Grubenacker” entwickelt. Es ist ein Konzept, welches die Entwicklung des ganzen Grubenackerquartiers zu einem urbanen Wohn- und Arbeitsort ermöglicht. Ein Ort, wo öffentliche Hand und private Grundeigentümer gemeinsam das schaffen, was ein Stadtquartier ausmacht: Identitätsstiftende Orte, Frei- und Grünräume, Beizen, Läden und natürlich bezahlbare Wohnmöglichkeiten. Würde die Überbauung Thurgauerstrasse als zentraler Teil der Quartierentwicklung Grubenacker positioniert, könnte der Gestaltungsplan ein Leuchtturmprojekt für die urbane Entwicklung werden, so wie es der kommunale Siedlungsrichtplan vorsieht. Im Gegensatz zum vorliegenden Gestaltungsplan baut es auf kleinräumigen Strukturen auf, welche auch kleinen Genossenschaften die Chance schaffen, ein Projekt umzusetzen.

Absurde Situation

Die Situation ist absurd. Da gibt es eine Nachbarschaft, die gewillt ist, langfristig einen Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung zu leisten und bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Rund 30 Nachbarn haben sich zu diesem Zweck in einer Wohnbau- genossenschaft zusammengeschlossen. Sie haben ein stadträumliches Konzept mitgestaltet, welches Leitlinien für die Entwicklung und bauliche Verdichtung des ganzen Quartiers schafft und dabei das Areal Thurgauerstrasse organisch mit einbezieht. Dabei können auf dem Areal gleich viele Wohneinheiten geschaffen werden wie mit dem städtischen Gestaltungsplan. Der wesentliche Unterschied ist, dass die Alternative ohne Hochhäuser auskommt.

Statt auf diese von der Nachbarschaft mitgetragenen Ideen einzugehen und den Entwicklungsprozess in der bestehenden Siedlung zu begünstigen und zu unterstützen, halten die politischen Entscheidungsträger an einer Planung fest, die aus der Zeit gefallen ist. Dafür führen sie wolkig finanzielle und zeitliche Gründe an. Abgesehen davon, dass kein Zeitdruck vorhanden ist und sich der finanzielle Aufwand für eine Neuplanung in Grenzen hält, verschweigen sie, dass die Einarbeitung der zahlreichen Änderungs-anträge in die vorliegenden Gestaltungspläne zeitaufwändig, komplex und risikoreich ist. Wenn z.B. die Motion für den Rückbau der Thurgauerstrasse genehmigt wird und dadurch plötzlich viele hundert Quadratmeter bebaubares Land zur Verfügung stehen, ergibt sich eine komplett neue Ausgangslage für die Planung, möglicherweise mit einer erneuten öffentlichen Planauflage. Ganz zu schweigen vom Risiko von Rekursen. Und dann bleibt noch die Frage, ob sich überhaupt genügend Wohnbaugenossenschaften finden, die auf dem Areal bauen wollen.

Eine breit akzeptierte Alternative ist auf jeden Fall mit weniger Risiken verbunden und in kürzerer Zeit realisierbar. 

Bevor die Gemeindeparlamentarierinnen und -parlamentarier die vorliegenden Gestaltungspläne durchwinken, sollten sie die gesamtheitliche Betrachtung nochmals ernsthaft prüfen. Nebst höherer Qualität der gebauten Umgebung und funktionierender Nachbarschaft könnten längerfristig mindestens 300 weitere Wohneinheiten im Grubenacker realisiert werden. Bei einem Festhalten am bisherigen Plan wird die funktionierende Nachbarschaft nach und nach erodieren und einer noch grösseren Zahl von Luxus-Appartements und Airbnb Unterkünften weichen. Das kann nicht das Ziel einer nachhaltigen Stadtplanung sein! Um dies zu verhindern, planen die in der IG Grubenacker organisierten Nachbarn das Volksreferendum gegen den Gestaltungsplan zu ergreifen. So wird das Volk auf der Basis einer öffentlichen Diskussion einen Entscheid fällen. 

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